Kann ein Ding an zwei Orten gleichzeitig sein?
| 12. März 2015Kann ein Teilchen gleichzeitig nach links und nach rechts fliegen? Wird Realität neu gedacht werden müssen? Und welche technischen Möglichkeiten ergeben sich daraus? Zum 650-Jahr-Jubiläum sprach uni:view mit dem Quantenphysiker Markus Arndt.
uni:view: Sie fragen, ob ein Ding an zwei Orten gleichzeitig sein kann. Warum haben Sie diese Frage für die Jubiläums-Kampagne der Universität Wien ausgewählt?
Markus Arndt: Weil wir in der Physik in einer ungewöhnlichen Situation sind: Einerseits ist das Superpositionsprinzip ein wesentlicher Baustein der Quantenmechanik, der in seiner Bedeutung bis heute noch nicht vollständig verstanden ist. Andererseits ist die Quantenphysik auch relevant für moderne Technologien: Das betrifft unser Verständnis von Lasern ebenso wie das von Halbleitern – beide haben die moderne Informationsgesellschaft erst möglich gemacht. Die Quantentheorie umfasst die Beschreibung von Atomuhren, die unsere Zeit definieren und die GPS-Navigation präzise machen, oder Supraleiter, die verlustfrei Energie transportieren. Seit zwei Jahrzehnten wird auf Quantenprinzipien auch eine neue Informationstechnologie entwickelt.
uni:view: Was besagt die Superposition genau?
Markus Arndt: Dass Quanten gleichzeitig zwei oder auch mehrerer verschiedene Zustände einnehmen können, oft auch solche, die uns widersprüchlich erscheinen: Ein Atom kann zum Beispiel zwei verschiedene Energieniveaus besetzen, also zugleich viel UND wenig Energie haben. Das ist die Basis für moderne Atomuhren. Sein Spin – ein kleines magnetisches Moment im Atom – kann gleichzeitig in verschiedene Richtungen zeigen – wie eine Uhr die mit einem einzigen Zeiger zugleich 9 Uhr morgens und 12 Uhr mittags zeigt. Das ist die Basis für die Kernspintomographie in der Medizin. Ein Teilchen kann zugleich in verschiedene Richtungen fliegen. Aber das ist natürlich eine vereinfachte Formulierung.
uni:view: Wie lautet die komplizierte?
Markus Arndt: Was alles sich quantenmechanisch verhält, in dem Sinne ein Quant ist, hängt nach bisherigem Wissen vor allem von der Anordnung des Experiments ab. In manchen Versuchen ist ein Atom sehr gut als kleines Billardbällchen zu beschreiben. In anderen Experimenten verhält es sich, als wäre es an vielen Orten zugleich, wäre delokalisiert. Dann muss man diese sonst als Partikel gedachten Objekte, wie Atome oder Moleküle, eher als ausgedehnte und sich allseits ausbreitende Wellen beschreiben. Das klingt ein wenig diffus, hat aber bereits sehr konkrete Anwendungen!
uni:view: Zum Beispiel?
Markus Arndt: Zum Beispiel ist die quantenmechanische Delokalisation von Elektronen und Neutronen die Grundlage für die moderne Mikroskopie und Materialanalyse. Die Delokalisation von Atomen und Molekülen kommt bei höchstpräzisen Kraftmessungen zu Anwendung. Die Methode der Atominterferometrie ist der neue Standard in Gravitationsmessungen für die Erkundung von Bodenschätzen, Trägheitsnavigation oder auch in der Geodäsie.
uni:view: In Ihren Labors an der Universität Wien arbeiten Sie mit sogenannten Materiewelleninterferometern.
Markus Arndt: Mit diesen Geräten erkunden wir nun erstmals eine neue Methode, um die Eigenschaften von Nanoteilchen präzise zu messen, derzeit vor allem von Biomolekülen.
uni:view: Was ist das Tolle an der Quantenphysik?
Markus Arndt: Die Quantenphysik erlaubt präzise und verlässliche Vorhersagen über die Welt wie keine andere Theorie der Menschheit! Aber zugleich scheitern viele naive Vorstellungen und liebgewonnene Begriffe des Alltags bei der Interpretation von Beobachtungen im Labor. Das philosophische Rätsel dahinter besteht in der Frage: Wenn ein Molekül "zugleich" an "verschiedenen" "Orten" "sein" "kann" – was bedeuten dann die Worte "Unterscheidbarkeit", "Realität", "Raum" und "Zeit" eigentlich? Das ist eine sehr spannende Frage.
Videoantwort von Markus Arndt |
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uni:view: … auf die Sie noch keine Antwort haben?
Markus Arndt: Leider noch keine gute. Warum es in der Quantenphysik diese Superposition gibt, weiß niemand. Warum wir sie im Alltag nicht erleben – dafür gibt es viele Gründe: Einfache aber auch ganz fundamentale. Die einfache Antwort ist: Viele dieser Quanteneffekte sind nur mikroskopisch sichtbar, weil das Plancksche Wirkungsquantum sehr klein ist. Das ist eine Größe, die die Bewegung aller Körper mitbestimmt. Auf der fundamentalen Seite steht die Frage, wie gut man Quantensysteme (Atome, Moleküle etc.) von ihrer Umgebung getrennt betrachten kann, ob die gesamte Welt als ein Quantensystem zu betrachten ist, was eine Messung ist und was Information eigentlich wirklich ist.
uni:view: Quanten können also gleichzeitig an zwei Orten sein, aber ein Markus Arndt nicht?
Markus Arndt: Auf makroskopischer Skala wäre das schwierig, weil ich eine relativ große Masse habe. Meine Wellenlänge ist zu klein. Wenn ich mich mit einem Meter pro Sekunde bewege, dann wären das etwa eine Wellenlänge von 6× 10-36 Meter. Das ist so winzig, dass gar nicht klar ist, ob auf dieser Skala Raum und Zeit wohldefiniert sind. Zum anderen bin ich nie unbeobachtet. Damit meine ich keine Messung durch eine "bewusste Seele" oder gar die NSA, sondern einfach eine banale Wechselwirkung mit der Umgebung, wie z.B. das Abprallen eines Luftmoleküls oder die Streuung eines Photons an meinem Körper. So eine Winzigkeit reicht aus, um die Dynamik meines Körpers soweit zu stören, dass ihre quantenmechanische Wellennatur für nichts und niemanden mehr sichtbar sind. Daher kann ich mich nicht messbar delokalisieren. (lacht)
uni:view: Ab welcher Größe "funktioniert" Quantenphysik?
Markus Arndt: Es ist nicht klar, ob es eine fundamentale Grenze gibt und ob die Quantenphysik bei einer speziellen Komplexität oder Massenklasse endet. Vielleicht müssen wir eines Tages auch entweder die allgemeine Relativitätstheorie oder die Quantenmechanik ändern: Bisher ist nicht klar, wie beide zusammen passen. Was das mit unseren Experimenten zu tun hat: Ist ein massives Körperchen delokalisiert, so ist intuitiv auch der Raum an zwei Orten zugleich deformiert. Was diese Quantenüberlagerung von Raumkrümmungen bedeutet, ist theoretisch schwer zu beschreiben. Was ist die Rolle der Masse in der Quantenphysik?
Weiters fragen wir uns, welche Bedeutung die Quantenphysik für die Biologie hat und welche Rolle Komplexität in der Quantenphysik spielt. Um das besser zu verstehen, arbeiten wir in einem aktuellen Projekt – gefördert vom Europäischen Forschungsrat (ERC) – daran, quantenmechanische Zustände komplexer biologischer Materie herzustellen. Beginnend mit Vitaminen, Aminosäuren und Polypeptiden auf der Suche nach Möglichkeiten zur Erzeugung von Quantenüberlagerungen in Makromolekülen mit der Eigenschaft zur Selbstreplikation.
uni:view: Wie machen Sie das genau?
Markus Arndt: Wir sind hauptsächlich Experimentatoren und basteln viel. Wir haben drei verschiedene Interferometer, mit denen wir die quantenmechanische Wellennatur großer Moleküle untersuchen. Die Tische, auf denen wir diese Apparaturen aufbauen, sind je knapp sechs Quadratmeter groß und wiegen mehr als eine Tonne. Um die empfindlichen Instrumente von der Vibration der Umgebung zu isolieren, ruhen die Tische auf Luftkissen. Wir führen alle Experimente im Vakuum durch, weil die Teilchen nicht mit der Umgebung wechselwirken dürfen – bei einem Druck, der etwa 100 Milliarden Mal niedriger ist als der unserer Atmosphäre.
uni:view: D.h., bei Ihnen wird nicht nur geforscht, sondern auch an den Forschungsgeräten getüftelt …
Markus Arndt: Die Experimente werden in unseren Labors gebaut, teils aus kommerziellen Komponenten und teils aus selbstentwickelten mechanischen oder elektronischen Bauteilen. Dabei unterstützt uns das Werkstätten-Team der Fakultät sehr gut. Unsere Studierenden sind intelligent, technisch fit und engagiert. Sie müssen viel planen, simulieren, Mechanik und Elektronik basteln, aufbauen, Laser und Optiken justieren, programmieren, messen und auswerten. Die meisten von ihnen besuchen auch einen Werkstattkurs, wo sie lernen auch selber zu fräsen und zu drehen.
uni:view: Das klingt sehr aufwendig …
Markus Arndt: Das ist es. Und die Experimente sind nicht billig – wegen der notwendigen Hochleistungslaser, Präzisionskomponenten, Vakuumapparaturen, der Hochgeschwindigkeitselektronik, speziell adaptierter Massenspektrometer, Spezialsoftware und vielem mehr. Wir haben relativ exotische Anforderungen, z.B. brauchen wir im tiefen ultravioletten Spektralbereich – das ist Licht, das man weder sehen noch durch die Luft führen kann, weil es dort schon nach einem Tausendstel Millimeter absorbiert wird – die flachste Optik, die man herstellen kann. Bisher haben wir erst einen Hersteller gefunden, der bereit war, mit uns darüber zu reden. Wir müssen alles super stabil halten und auf den Nanometer genau positionieren. Wir sind in bestimmten Bereichen empfindlich auf Kräfte im Bereich von Yoctonewton: Das sind Kräfte, die in der Industrie gar nicht diskutiert werden, weil sie so winzig sind.
Jedes unserer Instrumente ist einmalig. Wir sind weltweit bisher noch die einzige Gruppe, die solche Quanteninterferenzexperimente mit großen Molekülen beherrscht. Wir sind dazu sehr eng mit ChemikerInnen der Uni Basel, Technologien der Uni in Tel Aviv und TheoretikerInnen an den Unis in Duisburg und Triest vernetzt. Einige andere Gruppen haben sich auf den Weg begeben und werden auch bald operativ sein.
uni:view: Lässt sich Ihre Frage an der Universität Wien gut beantworten?
Markus Arndt: Ja, denn zum einen sind hier wirklich sehr gute junge Leute und zum anderen habe ich hier ein sehr gutes Umfeld von hochmotivierten KollegInnen. Ich bin 1999 mit Anton Zeilinger aus Innsbruck nach Wien gekommen. Da waren wir zu zwölft. Inzwischen arbeiten an der Uni Wien fast hundert QuantenforscherInnen. Und wir sind zudem sehr stark mit der TU Wien, dem IQOQI der Akademie der Wissenschaften sowie der Uni Innsbruck vernetzt. Am Anfang kam das Geld vor allem über einen FWF-Spezialforschungsbereich, den FWF START- und den FWF-Wittgenstein-Preis. Das Rektorat der Universität Wien hat mich in verschiedenen Phasen auf meinem Karriereweg immer sehr gut unterstützt. Die Stimmung hier war immer sehr positiv und forschungsfreundlich.
Das gilt auch für Österreich als Ganzes: Zwischen 1999 und 2008 gab es einen sehr positiven Trend und eine allgemeine Aufbruchsstimmung. Nach 2008 ist die dann erst einmal stark gedämpft worden. Erst seit wenigen Monaten scheint auch in der Politik wieder das Bewusstsein für den realen Bedarf und die realen Chancen von Wissenschaft und Forschung wieder zu erstarken. Das ist erfreulich. Aber es bleibt auch noch viel zu tun.
uni:view: Ihnen geht also das Geld für die Experimente aus?
Markus Arndt: Aufgrund der kostspieligen Experimente sind Finanzen bei uns ein großes Thema. Wir leben vor allem von Drittmitteln – im Moment hauptsächlich von europäischem Geld. Das Rektorat war zudem innovativ und großzügig bei der Einrichtung der Forschungsplattform "Quantum Phenomena and Nanoscale Biological Systems" – an der Grenze zwischen Biologie und Physik –, worüber ich mich natürlich sehr freue.
Generell ist es schwierig, eine gewisse Nachhaltigkeit zu schaffen. Zurzeit haben wir genug Geld, um die Gruppe am Leben zu erhalten. Aber wie geht es weiter, wenn der ERC Grant ausläuft? Rein statistisch kann nicht jedeR ForscherIn alle fünf Jahre Forschungsgelder in der Höhe von 2,3 Millionen Euro einwerben. Aber die Einwerbung von Forschungsmitteln bleibt fester Teil des Jobs und derzeit sind die Aussichten positiv.
uni:view: Kann ein Forscher auch einmal "abschalten"?
Markus Arndt: Die Gedanken rund um die Forschungsarbeit sind immer aktiv und es ist schwer, abzuschalten – was aber gar nicht unangenehm ist. Ich fühle mich nicht ständig wie ein "delokalisiertes Quantenteilchen", aber natürlich denke ich Tag und Nacht immer weiter über die Dinge nach. Oft wache ich um vier Uhr früh mit einer Idee oder Frage auf und schreib dann schnell eine E-Mail an meine MitabeiterInnen. Ich weiß aber nicht, ob sie das freut oder nervt. (lacht)
uni:view: Was wünschen Sie der Universität Wien zum 650. Geburtstag?
Markus Arndt: Zum einen, dass die Leistung der Universität Wien nach außen deutlich besser anerkannt wird. Die Universität Wien hat in der Bevölkerung immer noch ein etwas braves und wenig technologisches Image, obwohl sie auch dort exzellent ist. Es hat sich viel an der Wissenschaftskommunikation getan, aber bestimmte Haltungen entwickeln sich nur über Jahre. Außerdem wünsche ich ihr, dass sie so viel Geld vom Staat oder von privaten Sponsoren bekommt, dass es ihr möglich gemacht wird, in den internationalen Rankings unter die besten 50 Unis der Welt zu kommen. Deutsche und Schweizer Universitäten haben das geschafft, Österreich könnte das auch. Und die Universität Wien hat die besten Chancen dafür!
uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
Über Markus Arndt:
Markus Arndt, geb. 1965 in Unkel/Rh. (Deutschland), ist Professor für Quantennanophysik an der Fakultät für Physik der Universität Wien. 1985-1991 Studium der Physik an der Universität Bonn und Universität München. 1991-1994 Doktoratsstudium am Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching. 1995-1997 Postdoc an der ENS Paris, 1997-1998 Postdoc an der Universität Innsbruck. 1999-2002 Universitätsassistent, Universität Wien. 2002 Habilitation, Universität Wien. 2001 START-Preis. 2004-2008 V.-Professur für Quantennanophysik, seit 2008 Professor für Quantennanophysik an der Universität Wien. 2008 Wittgenstein-Preis. 2012-2014 Dekan der Fakultät für Physik. 2012 erhielt Markus Arndt einen ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates. 2013 stv. Leiter der universitären Forschungsplattform QuNaBioS.
Wir stellen die Fragen. Seit 1365. Unter den WissenschafterInnen der Universität Wien aller Epochen gibt es große Vorbilder, die dazu ermutigen, Fragen zu stellen und mit den Antworten die Welt zu verändern. Sieben ForscherInnen der Universität Wien erzählen uns stellvertretend von ihrer persönlichen Antwortsuche. Den Anfang macht Quantenphysiker Markus Arndt. Zum Dossier |
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